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Review: Portishead

 Third

(25.04.08 / Island (Universal))  

Eine portugiesische Durchsage begrüsst mich. Dann beginnts. Geige und Gitarre. Irgendwie klingts gefährlich. Eine Spannung liegt in der Luft und das Tempo ist schnell. Es ist, als ob jemand vor seinem Feind davonrennen würde. James Bond kommt mir in den Sinn. Und jetzt kommt sie, die altbekannte Portisheadstimme, wie wir sie gern haben. Das schnelle Tempo des Liedes fällt auf. Irgendwie einfach schräger Sound. Aber das ist ja typisch Portishead. Und plötzlich: das Lied hört mitten drin auf. Finito und vorbei.
 "Hunter" beginnt ruhig. Die schöne Stimme kommt voll zur Geltung. Schöne Melodien. Aber auch hier, es liegt brodelnde Stimmung in der Luft. Sie hat etwas Geisterhaftes, diese Frau. Und dann kommen plötzlich nervöse Geräusche dazu.

"Nylon Smile" erinnert mich an Psapp. Eine Frauenstimme und lustige Instrumente im Hintergrund. Wie wenn Kinder trommeln würden. Recht lustige Tonkombinationen. Mal passen die Harmonien, und mal nicht. Es ist eine Mischung aus schön und schräg. Was mir jedoch auffällt: Der typische Trip-Hop-Beat fehlt bis jetzt! Die Stimme ist und bleibt dieselbe wie früher, aber die Instrumente dazu sind anders.
 Auch "The Rip" ist ein erstaunlich ruhiges Lied. Fast eine Ballade. Es erinnert mich an Madonna. Schöne Melodien, Stimme und Gitarre. Im entferntesten Sinne kommt mir auch Coco Rosie in den Sinn. Sind Portishead ruhiger und harmonischer als früher? Weg vom Trip-Hop dafür hin zur Ballade und Gitarre? Der Gesang ist leicht klagend und traurig, aber schön.
"Plastic" ist das Lied, wo erstmals die bekannten Portishead wieder zurückkommen. Der unverkennbare Beat. Die James-Bond-Stimmung. Aber auch hier, die Stimme erscheint mir ruhiger und klagender.
"We carry on" ist recht hektisch und nervös. Ein stampfendes Trampeltier in einem Maschinenraum. Vom Beat her kommen mir Chicks on Speed in den Sinn. Oder Roisin Murphy, wegen der Stimme. Wieder diese Angst und Flucht in der Luft. Sehr nervös und gefährlich. Zum Teil geht’s fast Richtung Drum'n'Bass. Das ist ein Lied, das du nicht zu jeder Tageszeit hören kannst. Elektrische Gitarre im Hintergrund. Ich glaube, die Gitarre ist neu im Portishead-Sound?
Zudem fällt mir auf, dass die Stimme bei dieser CD viel mehr zur Geltung kommt, als bei anderen von Portishead. Die Stimme fährt mehr ein, weil der Trip-Hop-Beat wegfällt. Die Melodien sind herzzerreissend und beängstigend zum Teil. Viel nervösere Musik als früher. Diese ständige Flucht vor etwas. Und doch wieder diese herzzerreissende Balladen.

Ja, es ist die Stimme, die anders ist wie früher. (Und doch ist sie eigentlich noch genau so, wie wir sie kennen) Viel mehr Melodie, viel mehr Töne im Sortiment. Sie klingt zum Teil wie eine Opernsängerin. Oder dann wieder wie Madonna. Aber gemischt mit diesem Maschinenbeat entsteht etwas Sonderbares. Zwei Gegensätze treffen aufeinander. Aber es tönt gut! Einfach nicht zu jeder Zeit hörbar.
Nummer 9, "Small", ist wieder eine Ballade. Vielleicht müssen sich Portishead einbisschen vom Trip-Hop, von turbulenten Zeiten erholen? Der Sound erinnert mich an Morcheeba. Aber tricky ist die Musik trotzdem. Ganz verzichten sie nämlich nicht auf den Beat. Er kommt meistens doch noch, aber einfach viel später. Man muss mehr Geduld haben als früher.

Zusammengefasst würde ich sagen: Third ist ruhiger, harmonischer und zugleich nervöser. Gespenstischer und Herzdurchdringender als die bisherigen CDs. Für mich ist es kein Trip-Hop mehr. Es gibt mehr Balladen, mehr Gitarre und die Stimme kommt viel stärker zur Geltung. Der Gesang wird viel eigenständiger. Er hebt sich total ab vom Rest (Instrumente). Die Stimme geht ganz ihren eigenen Weg und lässt sich von nichts ablenken. Früher war sie mehr eingebettet im Trip-Hop-Beat. Jetzt steht sie allein da, und muss sich durchsetzen. Und das macht sie, in dem sie so klagend und herzdurchdringend singt, dass es einem durch Mark und Bein geht. Aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, Portishead haben einen neuen Sinn für Schönheit und Melodien bekommen. Teilweise einfach wunderschöne Tonkombinationen. Es muss also nicht immer alles schräg tönen wie früher, sondern darf auch einfach mal schön sein. Das Gefährliche, und ständig-auf-der-Flucht-sein, das bleibt aber. Es kann sein, dass man die neuen Lieder nicht mehr sofort als Portishead erkennt. Ich finde das toll und mutig. Weg vom Trip-Hop und hin zur Gitarre?

Third ist eine Platte, die durch Mark und Bein geht und Angst machen kann. Gleichzeitig strahlt sie vor Schönheit. Mir gefällt sie sehr gut.

(meret)

Bewertung  

 


 

Nein, Objektivität ist bei Portishead nicht möglich. Zu sehr ist deren Werk mit meinem Leben verknüpft. So erinnere ich mich, wie ich Portishead (das Album) im Ohr das Vasa-Museum zu Stockholm besichtigte, wie ein Kollege in einem Pariser Kaffee auf einem Piano Portishead-Stücke klimperte oder wie die Gespräche bei einem Fondue-Essen im Freundeskreis beim Erklingen von "Roads" plötzlich erstummten. Meine Meinung zu Third ist also überaus subjektiv und von Erinnerungen beeinflusst - dies wird aber wohl bei sehr vielen Personen zwischen 25 und 45 der Fall sein.

Das Album startet mit "Silence" doch sehr vertraut. Dieser Song hört sich, zumindest wenn nach der portugisischen Einleitung Beth Gibbons das Mikrophon ergreift, doch sehr nach Dummy an. Ein wunderbarer Song, welcher einerseits Vorfreude zu erzeugen vermag, andererseits aber auch Befürchtungen aufkommen lässt, dass Third zu sehr in der Vergangenheit stecken geblieben sein könnte - unbegründet, wie sich zeigen wird.

Es folgt eine Aneinanderreihung von Highlights. Hervorzuheben ist das wunderbar stampfende "We Carry On", auf welchem mit Gitarren, Marschtrommeln und Beths Stimme, dem industriell-maschinellen Beat entgegengewirkt wird. Verstörend und erhebend zugleich. Auf jeder anderen Scheibe dieses Jahres wäre dieser Song sicherlich der alleinige Höhepunkt, bei Third möchte ich mich aber nicht zu dieser Aussage hinreissen lassen. Nicht ganz unähnlich ist die Single "Machine Gun", allerdings wirken hier Beths Stimme und ein monotoner Maschinen-Beat direkt aufeinander. Ein Song, der, gute Boxen oder Kopfhörer vorausgesetzt, bei mehrmaligem Hören eine enorme Kraft entwickelt. Abgerundet wird dieser sehr reduzierte und auf den Punkt gebrachte Song von einer beinahe kitschigen Synthie-Melodie, welche in den letzten Sekunden anklingt.

Gänsehaut erzeugend ist "The Rip", welcher nur mit Beths Vocals und Gitarre beginnt und sich dann nach gut 2 Minuten immer mehr steigert, wobei sich Beths Stimme in einem Loop verfängt. Hier erinnert Portishead ein wenig an Archives "Pulse", wenn auch der Song der Band aus Bristol subtiler und weniger brachial daherkommt.

Grandios sind auch das eher ruhige "Small", welches sich durch Orgeln zu einem mitreissenden Sturm entwickelt, und der Song "Magic Doors", der mit einem Free-Jazz-Part gekonnt in einen Refrain einleitet. Hier wird sich wohl der eine oder andere an Radioheads "The National Anthem" erinnert fühlen. Trotzdem ist  Third eher mit Archives You All Look The Same To Me als mit Radioheads Kid A zu vergleichen. Die Melancholie und Dunkelheit ist noch vorhanden, die früheren Portishead also (anders als bei Radioheads Wechsel von OK Computer zu Kid A) immer noch gut erkennbar, das Album wirkt aber nie wie ein Aufguss alter Erfolge. Nach Mezzanine und YALTSTM ein weiterer genialer Drittling einer ehemaligen Trip-Hop-Band.

(as)

Bewertung  

 


 

Irgendwie hatte man ja bei "Live at Roseland" (1998) gedacht: Ein ganz tolles Livealbum, aber eigentlich auch eine sehr bald erscheinende verkappte Best-of, enthielt das Teil doch eine zwar geniale Orchestrierung, aber lediglich Tracks der beiden Studioalben "Dummy" (1994) und s/t (1997), wovon gerade mal Sour Times fundamental von der Originalversion abwich. Trotzdem gehört es zu meinen Lieblings-Livealben und immerhin durfte man sich so die Wartezeit bis zum nächsten Album ein bisschen verkürzen, das man - wenn man mit einer ähnlich  Produktionsperiode wie zwischen den beiden Vorgängern rechnete - so für das Jahr 2000 erhoffen durfte. Doch es kam anders: Erst 2002 erschien immerhin das sehr ansprechende Soloalbum von Beth Gibbons, Portishead hingegegen entschwand irgendwo im Dunstkreis eines zwar legendären, aber gerade mal Gerüchte und seltenste Auftritte produzierenden Mysteriums. Die Formation wurde zur Ikone längst vergessener Tage, zu einer verblassten Leitfigur, der höchstens noch ein paar anachronistische Melancholiker nachhingen, wie unterfütterte Raubtiere in Gefangenschaft hungrig jeden auch noch so kleinen Gerüchtebrocken erhaschend, der einem aus den Untiefen des Webs alle paar Monate mal eingespiesen wurde. Alle anderen vergassen sie schlicht.

Die offizielle Seite versank im Tiefschlaf, aber die MySpace-Seite, tatsächlich betrieben vom zuweilen etwas launischen und kautzigen Mastermind Geoff, war immerhin explizit dem dritten Album gewidmet, auch auf Beths Seite hiess es, sie arbeite am neuen Portishead-Album, mehr Neuigkeiten kämen dann, wenn alles kommt, auf das man von mühsamen Zeitgenossen jahrelang vertröstet wird: bald! Weitere Monate, gar Jahre, strichen ins Land, doch dann verbreitete sich in Insiderkreisen die Neuigkeit, der Kern von Portishead (Beth, Geoff und Gitarrist Adrian Utley) hätte in einem Club in Bristol (Mr. Wolfs) einen kleinen Surprise-Gig gespielt: einen alten und einen neuen Track (wohl das, was später zuerst unter Mystic (ATP) und auf dem Album The Rip heissen sollte). Von da an gings für Portishead-Verhältnisse relativ schnell: Der eigentliche Produktionsprozess verlief zwar einigermassen harzig, gemäss Geoffs kryptischen MySpace-Blog-Beiträgen stand man immer mal wieder an und Ade räumt im Nachhinein ein, dass sie zwischendrin auch mal an einem Punkt waren, an dem sie das ganze Album in Frage stellten. 2007 wurde aber schliesslich verkündet, die Tracks seien aufgenommen, [P] werde demnächst das neue Album veröffentlichen,  zudem im Dezember das ATP-Festival in Minehead (UK) kuratieren und natürlich auch selbst spielen (OOS berichtete). Es sollten gleich zwei Auftritte werden, an denen bereits fünf neue Tracks gespielt wurden, ein Teil davon noch unter Arbeitstiteln figurierend, aber alle fanden den Weg aufs Album, das nun - nach Leaks, Live-Previews und Last.fm-Vorhören - im April 2008 endlich erscheint. Elf Jahre nach dem letzten Studioalbum sind Portishead nicht mehr nur die Leitband von ein paar verqueren Musikfreaks mit 70er-Jahrgängen, sondern zurück in Magazinen, Portalen und CD-Playern.

Inwiefern "Third" geeignet ist, eine breitere Hörerschaft anzusprechen, wird sich weisen - Geoff ging mal präventiv davon aus, dass die "Fondue Society" das Album nicht mögen wird. Mit der  Single Machine Gun, ein aufs Erste sehr sperriger, ja monotoner Track, bringen sie diese innere Resistance gegenüber der Hochglanzpresse sogar ein bisschen eitel zum Ausdruck: Wir sind Portishead, wir klingen, wie wir wollen und wir dürfen das. Der Track sagt: "Wenn ihr das nicht mögt, hört gar nicht erst weiter." Dabei ist das Schwierigste nach dieser Kraftwerk-inspirierten Klangwüste mit einer übrigens doch sehr ansprechenden Vocal-Line  bereits überstanden. (Nach einigem Einhören gefällt mir der Track übrigens sogar - man darf sich nur nicht von seiner vermeintlichen simplen Erscheinung übertölpeln lassen und ihn zu bald weglegen.) Mit Songs wie Magic Doors finden sich aber auch sehr zugängliche, ja poppige Songs auf dem Album. The Rip, seit dem Konzert in Minehead mein Lieblingssong unter den bis dahin bekannten neuen, gleitet nach einem fast in A-capella-Manier gehaltenen Intro in einen sehr tragenden Synth-Teppich, auch an anderen Ecken ist "Third" doch recht elektronisch, einzelne Stücke wiederum mischen Anleihen von Archive bis Beach House mit einem klar erkennbaren Einfluss der akustischer gehaltenen Out-of-Season-Soloscheibe oder klingen ganz einfach wie die guten, alten Portishead: verträumt-düster, schleppend, melancholisch.

Das Album verdient wie ein neuer Bundesrat sicher eine gehörige Frist, bis es daran geht, seinen Stellenwert zu beurteilen – mir ist jedenfalls zumindest suspekt, wer jetzt schon zu einem abschliessenden Urteil kommen kann und vermag, das Album  bereits nach wenigen Durchgängen in eine Reihe von jahrelangen Begleitern, wie es die Vorgängeralben waren, qualitativ einzuordnen. Aber wäre das nicht gerade die Aufgabe eines Reviewers? Ich entziehe mich ihr getrost wegen biografischer Befangenheit, angetan davon, dass Portishead zurück sind, froh darüber, nicht mehr grüblerisch und halsstarrig den Horizont nach Lebenszeichen einer Chimäre absuchen zu müssen, begeistert von dem, was bis jetzt im Ohr und in der Empfindung ankommt. Das alles klingt anders genug, um nicht von Wiederholung und Mythosbelebung sprechen zu müssen, und doch so vertraut, um unverkennbar Portishead zu sein. Im April 2008 wurde mir ein Stück musikalische Heimat zurückgegeben.

(bf)

Reinhören bei Last.fm: http://www.last.fm/music/Portishead/Third
Portishead bei MySpace: http://www.myspace.com/PORTISHEADALBUM3

Tracks:
  1. Silence
  2. Hunter
  3. Nylon Smile
  4. The Rip
  5. Plastic
  6. We Carry On
  7. Deep Water
  8. Machine Gun
  9. Small
  10. Magic Doors
  11. Threads
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Kommentar von cozmo am 25.04.2008
eins vorweg: ich war und bin es auch jetz nicht -> portishead-fan. trotzdem war ich sehr gespannt auf das neue album.. verständlicherweise. die platte beginnt für mich eher entäuschend. bei THE RIP lässt aufhorchen, PLASTIC erinnert an alte zeiten und gefällt natürlich, WE CARRY ON haut insbesondere beim ersten durchhören vom hocker und ab MACHINE GUN gefällt mir das album doch einen zacken besser. insgesamt sehr innovaitv und neuartig, aber auch verstörend und schwer verdaubar.

cozmo's Bewertung von Third:

Kommentar von JeanE am 25.04.2008
Hätte nicht gedacht dass dieses Album "Third" soviele Synapsen in mir an die Arbeit rufen könnte. Absolute Spitze, ich weinte fast vor Glück. Komme eher aus dem Lager der zeitgenössischen Musik (Cage, Feldman, Xenakis) und muss sagen dass Portishead mich mitten ins Herz getroffen hat. Unbedingt reinhören.

JeanE's Bewertung von Third: